Hallo ihr Lieben,
Diesmal ein Beitrag aus Deutschland und leider werden auch keine mehr aus Südafrika folgen.
Es tut mir leid, dass ich mich jetzt erst melde, aber ich habe ein paar Tage gebraucht um zumindest teilweise zu verarbeiten, was in den letzten Tagen passiert ist.

Heute ist Sonntag. Wenn ich an den letzten Sonntag, vor 7 Tagen, zurück denke, kann ich gar nicht fassen, wie schnell das jetzt auf einmal ging.
Letzte Woche Sonntag war noch alles normal. Ich habe lange ausgeschlafen, weil ich am Abend zuvor auf Steves Geburtstagsfeier war. Mittags war ich mit Charles zusammen in einem Gartencenter „frühstücken“ und am späten Nachmittag waren Daniel und ich noch eine Runde joggen bevor es dann, wie jeden Abend, gemeinsam mit der ganzen Familie Abendessen gab.
Auch der Montag begann wie jeder andere Tag, nur mit der Besonderheit, dass Daniel und ich schon morgens mit den Hunden im Park waren.
Vom Park aus fuhr Daniel mich direkt zur Arbeit. Dort angekommen erfuhren Paul und ich von Milly (unsere Chefin), dass wegen des Virus alle Scout Meetings und Events abgesagt wurden. Darüber waren wir echt enttäuscht, aber mit Milly gemeinsam besprachen wir, welche Projekte Paul und ich stattdessen übernehmen könnten.
Ansonsten verbrachten wir einen ganz normalen Arbeitstag im Office: Berichte schreiben, im Shop helfen, das Telefon beantworten und so weiter.
Es war kurz vor halb fünf, Paul und ich waren gerade dabei unsere Sachen zu packen, die meisten unsere Arbeitskollegen hatten schon das Büro verlassen, da bekam Paul eine Nachricht von Tanja: „Aufgrund der Corona-Pandemie habe ich dringende Nachrichten für euch. Wir werden euch nach Deutschland zurückholen müssen. Das tut mir sehr leid, aber wir befinden uns im Ausnahmezustand und Weltwärts hat uns dies soeben mitgeteilt.“
Wir in Millys Büro und als Paul ihr sagte, dass wir „Nach Hause“ müssen, sagte sie nur: „Ja, es ist ja auch halb fünf.“
In dem Moment realisierte ich, dass das hier mein zu Hause war, hier in Kapstadt, in Claremont, bei den Le Jeunes. Ich war noch nicht bereit zurück nach Deutschland zu gehen, denn ich hatte noch nicht hier mit abgeschlossen.
So viele Dinge wollte ich noch erleben: eine Reise nach Namibia, Geburtstagfeiern in Südafrika und einfach den Alltag in Kapstadt leben – Berge, Freunde und Meer.
Milly fuhr uns dann nach Hause. Mich setzte sie zuerst ab. Als ich aus dem Auto stieg, standen Daniel und Emily schon am Tor um mich zu empfangen und zu trösten.
Als Emily nach Hause musste, fuhren Daniel und ich in einen Park, in dem ich zuvor noch nie war. Es war ein super schöner Park, so grün, mit gemütlichen Bänken und einem Bach. Schade, dass ich diesen Ort nicht früher entdeckt habe.
Nachdem Paul anrief und uns mitteilte, dass ein Flug für Freitag gebucht wurde, fuhren wir zu ihm zu, nahmen ihn mit zu uns und riefen von dort aus Jason an, der sagte, dass wir bei ihm vorbei kommen könnten.
Wir luden noch Emily, Nic, Luke und Greg ein. Luke kam, obwohl er zuvor stundenlang auf dem Lions Head die Brände gelöscht hatte und Greg hatte alle seine drei Geschwister, Chris, Nick und Catherine, dabei.
Die Mac Donalds hatten außerdem „Milk tart“, einen typisch südafrikanischen Kuchen, mitgebracht und sangen für mich vorträglich zum Geburtstag (das bringt in Südafrika angeblich kein Unglück).
Der Abend war wirklich schön. Wir hatten uns alle noch so viel zu sagen und die Zeit verging wie im Flug.

Am Dienstagmorgen hatte Junior, der seit Beginn des Jahres eine Ausbildung zum Koch macht, eine Frühstücks-Klausur, zu der er mich und Kenya (Nick von 1st Claremont) eingeladen hatte. Ich war wirklich sehr beeindruckt von dem Essen – ein Fünf-Gänge-Frühstück! Hut ab an Junior!
Von dort aus holte Daniel uns ab und wir fuhren ins Office.
Paul, Daniel und ich setzten uns, nachdem wir ein bisschen mit allen gequatscht hatten, in den Board Room und planten unsere nächsten Tage. Schnell entschieden wir, was wir gern alles noch bis Freitag machen würden und mit wem wir noch einmal Zeit verbringen möchten: Wine Tasting, Wandern, Abschiedsfeier im Office und zu guter Letzt eine große Feier mit allen Freunden.(Leider fielen die Feiern am Donnerstag letztendlich weg.)
Direkt danach verabschiedeten wir uns im Office.

Punkt 1 auf unserer „To-Do-Liste“ war ein Wine Tasting in Durbanville mit unseren Freunden, die dort wohnen.
Das Wine Tasting war echt schön und das coolste war, dass es Charles allererstes Wine Tasting war, was es irgendwie nochmal besonderer machte.
Andrew musste um 16 Uhr arbeiten gehen und da er in einem kleinen Restaurant in Durbanville arbeitet, entschieden wir fünf anderen dort noch eine Kleinigkeit zu essen und ein Bier zu genießen. Jason (aus Durbanville) stoß auch noch dazu.
Abends war Paul noch in der Stadt verabredet. So setzten Daniel und ich ihn dort ab und weil es zu schade gewesen wäre danach einfach nur nach Hause zu fahren, entschieden wir uns in Seapoint den Sonnenuntergang anzusehen.

Dass das mein letzter Sonnenuntergang in Kapstadt war, hätte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht gedacht, aber ich muss sagen, es war ein schöner letzter Sonnenuntergang. Wir hätten den Abend nicht besser verbringen können.
Zu Hause gab es dann Abendessen und es war das erste Mal, dass es keinen Fisch gab, obwohl es Dienstag war.

Am Mittwochmorgen wachten wir schon um 5 Uhr auf, um den Sonnenaufgang vom Tafelberg aus zu sehen. Wir trafen uns mit unseren Rovern und Father Charles am Platteklip Gorge und kletterten von dort aus in die Wolken hinein. Trotz der Wolken hatten wir eine schöne Aussicht und die aufgehende Sonne sah aus wie ein Feuer – unglaublich schön! Father Charles hatte, wie immer bei den frühen Wanderungen, Kaffee dabei und teilte mit mir.
Wieder unten an den Autos angekommen fuhren wir alle gemeinsam frühstücken. Ich habe so schöne und lustige Gespräche geführt, die den Morgen zu etwas Einzigartigem gemacht haben.
Zurück zu Hause weckte ich Daniel, denn Michael kam zu Besuch. Wir saßen gemeinsam im Wohnzimmer und tranken Kaffee als um 10:42 Uhr mein Handy klingelte. Es war Tanja, die mir mitteilte, dass unser Flug gestrichen wurde und Paul und ich am besten noch am selben Tag das Land verlassen sollten. Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte.
Fazit nach einem weiteren Telefonat war, dass Paul und ich so schnell wie möglich packen sollen und innerhalb der nächsten zwei Stunden zum Flughafen fahren sollten, um dort zu versuchen in den nächsten Flieger nach Deutschland zu kommen.

Gott sei Dank hatte ich Michael und Daniel als meine Elfen beim Packen. Ich musste gar nicht viel mehr tun, als den beiden zu sagen, was wohin soll und was in Kapstadt bleiben kann.
Als wir erfolgreich alle Koffer geschlossen hatten, musste ich Abschied von Michael nehmen.
Nicky holte mich anschließend ab und fuhr Paul und mich ein letztes Mal zum Office. Während sie ein paar Einkäufe im Woolworth erledigte, mussten Paul und ich dann auch dort Abschied nehmen.
Ich nahm alle noch einmal in den Arm und wir bekamen sogar noch Abschiedsgeschenke, obwohl das alles so spontan war.
Während wir im Office waren, schrieben Paul und ich einigen Freunden, dass wir so gut wie auf dem Weg zum Flughafen seien und sie gern dorthin kommen können, um uns zu verabschieden.
Bevor wir dann aber wirklich los zum Flughafen fuhren, verabschiedete ich mich von Alick, Ben und Stefan und natürlich auch von Ollie und Ula.
Als wir gerade die Koffer ins Auto packten, stand Junior vor dem Tor. Er ist so schnell es ging mit dem Longboard zu uns geskatet um sich noch persönlich von mir zu verabschieden.
Am Flughafen verabschiedete ich mich dann von Karen, meiner afrikanischen Mama. Daniel blieb bei mir.

Als wir in die Abflugshalle kamen, warteten bereits Lexiy, TJ, Steve und Matty auf uns. Auch Paul und seine ganze Gastfamilie tauchten kurz darauf auf.
Kurz darauf sammelten sich immer mehr Freunde um uns herum: Robyn, Jamie, Jason, Chris, Nick, Andrew, Charles, Joseph, Nic, Byron, Matthew und Skriker waren alle da und warteten mit uns gemeinsam bis Paul und ich nach mehreren Stunden endlich ein Flugticket kaufen konnten.

Und so hieß es dann Abschied nehmen von ALLEN, die sich am Flughafen gesammelt hatten.
Alle warteten bis Paul und ich aus der Sicht waren.
Als der Flieger abhob hatten wir eine unglaubliche Aussicht. Es tat so weh zu sehen, wie wir uns immer weiter entfernten, aber auf dem Flug sprachen Paul und ich auch viel über die schönen Erinnerungen.
Noch nie in meinem Leben habe ich so etwas durchgemacht. Wie Paul immer wieder gesagt hat: „Wir wurden einfach evakuiert. Wir haben innerhalb von 48 Stunden das Land verlassen.“
So richtig bin ich auch noch nicht zu Hause angekommen, denn ein Teil von mir ist immer noch in Kapstadt, aber ich mache das Beste aus der Situation und versuche auf das Positive zu sehen.
Die letzten acht Monate waren die Zeit meines Lebens und das kann mir keiner nehmen!
Gerade die letzten Tage in Südafrika haben mir noch einmal gezeigt, was für ein Glück ich eigentlich hatte.
Ich habe mein Englisch verbessert und meine Angst vor Hunden überwunden. Ich bin selbstbewusster geworden und habe viel über meine eigenen Grenzen und meine Komfortzone gelernt.
Ich habe eine zweite Familie gefunden, Freundschaften fürs Leben geschlossen, die Schönheit Südafrikas und besonders Kapstadts lieben gelernt und einen Einblick in eine ganz andere Welt gewonnen. Nein, ich habe nicht nur einen Einblick gewonnen, ich bin ein Teil dieser Welt geworden.
Dankeschön an alle, die mich während meiner unglaublichen Reise begleitet und unterstützt haben!

Eure Jula
P.S.
Trotzdem freue ich mich natürlich wieder in Deutschland zu sein und sobald die Corona-Zeiten vorbei sind, all meine Liebsten wieder in die Arme und ins Herz schließen zu können!
(Aufgeschrieben am Sonntag, 22. März 2020)
Liebe Jula,
Danke für deine offene Schilderung der letzten Tage. Ich freue mich für dich, dass du so tolle Erfahrungen machen konntest, obwohl das plötzliche Ende des Freiwilligen Dienstes nicht schön ist. Bestimmt hast Du die Chance Deine zweite Familie wieder zu sehen.
Ich bin froh dass du gesund zurück bist.
Papa